Relevanz genetischer Diagnostik der HLP
Genetische Tests erlauben eine eindeutige Differenzierung zwischen primären und sekundären HLPs, sichern die Diagnose und ermöglichen eine zielgerichtete Therapie. Besonders bedeutsam ist die genetische Diagnostik, wenn bestimmte klinische Warnzeichen ("Red Flags") vorliegen, darunter:
- Lipoprotein-Erhöhung im jungen Alter
- Familiären Häufung von HLP, frühen Myokardinafarkten oder Schlaganfällen
- Charakteristische Hauterscheinungen (Xanthome und Xanthelasmen), Arcus lipoides oder Organmanifestationen (z.B. Hepatosplenomegalie oder Pankreatitis)
- Stark ausgeprägte oder theapierefraktäre Lipidprofile
Durch genetische Familienuntersuchungen können zudem asymptomatische Anlageträger frühzeitig identifiziert und präventive Behandlungsstrategien etabliert werden.
Genetische Grundlagen und Klassifikation
Primäre HLP lassen sich nach der dominierenden Lipoproteinfraktion einteilen in:
- Hypercholesterinämien (v. a. familiäre Hypercholesterinämie – FH): Erhöhtes LDL-Cholesterin (LDL-C)
- Hypertriglyceridämien (z. B. familiäres Chylomikronämie-Syndrom – FCS): Erhöhte Triglyceride
- Kombinierte/Gemischte Hyperlipidämien: Erhöhtes LDL-Cholesterin und/oder erhöhte Triglyceride
- Weitere Hyperlipoproteinämien: Erhöhung weiterer Lipoproteine; von klinischer Relevanz ist insbesondere die Lipoprotein(a)-Erhöhung
Diese Erkrankungen können monogen (z. B. LDLR-Mutationen bei FH) oder polygen (Akkumulation multipler Veränderungen) bedingt sein. Die monogenen Formen können sich bereits früh in der Kindheit oder Jugend manifestieren.
Familiäre Hypercholesterinämie (FH)
Die FH ist die häufigste monogene Störung des Lipidstoffwechsels. Defekte in LDLR, APOB oder PCSK9 bzw. sehr selten in LDLRAP1 führen zu einer verminderten LDL-C-Clearance. Unbehandelt resultiert daraus ein bis zu 13-fach erhöhtes Risiko für koronare Ereignisse.
Die Diagnose basiert auf klinischen Scores (z. B. Dutch Lipid Clinic Network), in denen auch genetische Kriterien fest integriert sind. Auch asymptomatische Mutationsträger:innen gelten als Hochrisikopatient:innen, bei denen aggressive LDL-C-Zielwerte verfolgt werden sollten.
Primäre Hypertriglyceridämien
Primäre Hypertriglyceridämien sind eine klinisch wie genetisch sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen, die auch hinsichtlich der Schwere der Hypertriglyceridämie ein weites Spektrum abbilden. Die klinisch schwerste Form mit sehr hohen Triglycerid-Werten liegt bei dem seltenen Chylomikronämie-Syndrom (FCS) vor. FCS wird durch einen Defekt in den Genen LPL, APOC2, APOA5, LMF1 oder GPIHBP1 verursacht. Hohe Triglycerid-Werte (> 500 mg/dl bzw. > 5,7 mmol/l) bergen die Gefahr akuter Pankreatitiden und erfordern eine therapeutische Intervention.
Während FCS eine monogene Ursache hat, sind die multifaktorielle Chylomikronämie und die multifaktorielle Hypertriglyceridämie polygen bedingt und benötigen zusätzliche Triggerfaktoren zur Manifestation.
Lipoprotein(a)-Erhöhung
Lipoprotein(a) [Lp(a)] besteht aus einem LDL-Partikel, das mit Apolipoprotein(a) verknüpft ist. Lp(a) ist ein eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor und wird entweder in mg/dl oder nmol/l gemessen. Aufgrund molekularer Heterogenität ist eine Umrechnung zwischen den Einheiten nur näherungsweise möglich. Lp(a)-Werte > 125 nmol/l (> 60 mg/dl) gelten als risikorelevant.
- Hohe Lp(a)-Spiegel können die LDL-C-Messung verfälschen. Bei bekannter oder vermuteter Lp(a)-Erhöhung ist die Korrektur des gemessenen bzw. errechneten LDL-C sinnvoll. Wie die Umrechnung einfach funktioniert zeigt Ihnen unser Rechner
- Eine einmalige Lp(a)-Messung im Erwachsenenalter wird von den ESC/EAS-Leitlinien empfohlen. Liegt eine FH vor oder besteht eine positive Familienanamnese mit hohen Lp(a)-Werten oder eine familiäre bzw. persönliche Vorbelastung von atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sollte ein Kaskadenscreening erfolgen.
Über 90 % der Lp(a)-Plasmakonzentration wird genetisch determiniert. Eine wichtige Rolle in der zugrunde liegenden Genetik spielt die Allelgröße des LPA-Gens, in erster Näherung gilt: Je kleiner das Allel, desto höher die Lp(a)-Werte und damit auch das kardiovaskuläre Risiko. Eine Vielzahl genetischer Varianten ist bekannt, die mit niedrigen bzw. hohen Lp(a)-Spiegeln assoziiert sind.
Die LPA-Genanalyse unter Berücksichtigung der Allelgröße und aller bekannten Varianten ist technisch und bioinformatisch herausfordernd. Sie erlaubt aber heute schon eine differenzierte Risikoabschätzung.
Therapieoptionen bei genetischer Hyperlipoproteinämie
Die Behandlung orientiert sich an dem HLP-Typ, der Hyperlipidämie-Schwere und dem individuellen Risikoprofil:
- FH: Hochdosierte Statine und Ezetimib sind die Erstlinientherapien; bei unzureichender LDL-C-Senkung können PCSK9-Inhibitoren sowie Bempedoinsäure zum Einsatz kommen. Bei schwerem Verlauf oder homozygoter FH kann eine LDL-Apherese erforderlich sein.
- Lp(a)-Erhöhung: Bis zur Verfügbarkeit spezifischer Lp(a)-senkender Medikamente (z. B. Pelacarsen) spielt die Optimierung anderer Risikofaktoren, wie z.B. Senkung des Blutdrucks, sowie von LDL-C eine zentrale Rolle um das Gesamtrisiko zu reduzieren. Bei progredienten Gefäßkomplikationen und sehr hohen Lp(a)-Werten kann eine Lipoprotein-Apherese erwogen werden.
- Primäre Hypertriglyceridämie: Die Indikation für eine medikamentöse Therapie ist abhängig vom individuellen Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und für Pankreatitis. Die Therapieoptionen umfassen u.a.: Fibrate, hochdosierte Omega-3-Fettsäuren und ggf. spezifische Antisense-Oligonukleotide bei genetisch gesichertem FCS.
Fazit: Genetik als Wegbereiter der Präzisionsmedizin
Die genetische Diagnostik erblicher Fettstoffwechselstörungen ermöglicht eine präzise Diagnosestellung, verbessert die individuelle Risikoabschätzung und erlaubt eine gezielte, effektive Therapie. Ärzt:innen können so frühzeitig Hochrisikopatient:innen identifizieren, deren Prognose entscheidend verbessern und neue präventive Behandlungswege beschreiten.
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