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Genetische Detektivarbeit

Genetische Abklärung einer BH4-Defizienz – ein Fallbericht

Selten, aber in schweren Fällen bereits früh symptomatisch: Störungen des BH4-Stoffwechsels

Die kleine Patientin ist erst wenige Tage alt, als bei ihr im Rahmen des Neugeborenen-Screenings eine erhöhte Konzentration von Phenylalanin im Blut festgestellt wird. Sie ist damit eins von etwa 5.000 Neugeborenen, bei denen eine Hyperphenylalaninämie (HPA) nachweisbar ist. Hyperphenylalaninämien umfassen sowohl die nicht-behandlungsbedürftige „milde HPA“, als auch die „klassische“ und die „atypische“ Phenylketonurie, die jeweils unterschiedliche Therapien erfordern.

Mangel an Phenylalaninhydroxylase (PAH)

Bei der klassischen Phenylketonurie (Inzidenz 1:10.000) liegt ein Mangel an Phenylalaninhydroxylase (PAH) aufgrund eines PAH-Gendefekts vor. Ohne PAH kann Phenylalanin nicht zu Tyrosin verstoffwechselt werden und reichert sich im Körper an. Bei Konzentrationen von über 600 μmol/L im Blut wirkt Phenylalanin neurotoxisch. Durch eine rechtzeitige und bereits im frühen Säuglingsalter initiierte Phenylalaninarme Diät können schwere neurologische Schäden verhindert werden.

Mangel an Tetrahydrobiopterin (BH4)

Bei lediglich etwa 1– 2 % aller HPA-Fälle liegt eine Störung des Tetrahydrobiopterin (BH4)-Stoffwechsels vor. BH4 dient der PAH, aber auch Enzymen der Neurotransmitter-Synthese (Tyrosinhydroxylase und Tryptophanhydroxylase) und der NO-Synthase als Kofaktor. Fehlt BH4, kann Phenylalanin zum einen nicht durch PAH abgebaut werden, zum anderen fehlen die Ausgangsmoleküle für die Dopamin- bzw. Serotonin-Synthese. Die klinische Schwere einer angeborenen BH4-Defizienz kann stark variieren, wobei die Hauptsymptomatik den Mangel an Neurotransmittern widerspiegelt. 

Im Rahmen der umgehenden Bestätigungsdiagnostik wird klar: Bei der kleinen Patientin liegt eine BH4-Defizienz vor. Aufgrund der schweren Symptomatik wird unmittelbar mit der Behandlung begonnen. Diese besteht aus der Gabe von synthetischem BH4 (Sapropterin) und Supplementation mit Neurotransmitter-Vorläufern (L-Dopa in Kombination mit Carbidopa und 5-Hydroxytryptophan) sowie Einhaltung einer Phenylalaninbilanzierten Diät.

PTS-Mangel identifiziert, aber genetische Ursache zunächst rätselhaft.

An der Biosynthese von BH4 sowie am Dihydrobiopterin/Tetrahydrobiopterin-Redoxsystem ist eine Reihe von Enzymen beteiligt. Störungen des Redoxsystems können durch Testen der Aktivität der Dihydropteridinreduktase (DHPR) als zentralem Enzym des Systems nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Bestimmt man die Konzentration von Zwischenstufen bzw. Metaboliten entlang des Biosynthesewegs, kann das Enzym identifiziert werden, für das ein Mangel vorliegt. Im Fall des Säuglings ist es die 6-Pyruvoyltetrahydropterin-Synthase (PTS).

Die PTS-bedingte BH4-Defizienz folgt einem autosomal-rezessiven Erbgang, d. h. beide PTS-Allele müssen eine pathogene Veränderung aufweisen. Trotz intensiver Bemühungen mit einer Sanger- und im zweiten Schritt mit einer Exom-Sequenzierung kann zunächst nur eine heterozygote (nur ein Allel betreffende) Missense-Variante im PTS-Gen identifiziert werden. Diese führt an der Aminosäure-Position 24 zu einem Austausch von Histidin zu Prolin. His24 ist eine der Bindestellen für den PTS-Kofaktor Zink.

Tiefgehende Spurensuche mit Genom- und RNA-Sequenzierung

Wir vermuten die Veränderung des zweiten Allels in bislang nicht analysierten tief-intronischen oder regulatorischen Bereichen des PTS -Gens. Allerdings stellen nicht nur der Nachweis, sondern auch die Beurteilung gefundener Veränderungen in den genannten Regionen eine Herausforderung dar. Im Zuge einer Reanalytik entscheiden wir uns dafür, der zugrundeliegenden Genetik mittels Genom- und RNA-Sequenzierung auf den Grund zu gehen. Durch die RNA-Sequenzierung lässt sich dabei der Einfluss genetischer Veränderungen auf der Genexpressionsebene sichtbar machen – was uns im vorliegenden Fall den entscheidenden Hinweis liefert.

Auf dem nicht von der Missense-Variante betroffenen Allel finden wir tief-intronisch eine Insertion von 90 Basenpaaren. Da diese Sequenz auch neue Splicing-Stellen (Splice Junctions) aufweist, entsteht ein neues Exon, das in den Transkripten der Patientin nachweisbar ist, in Kontrollproben aber fehlt. In Konsequenz verschiebt sich der Leserahmen und es kommt damit zu einem Mangel an funktionalem PTS-Enzym.

Erfolg für die Therapie und darüber hinaus

Mit der Missense-Variante auf einem und der tief-intronischen Insertion auf dem zweiten Allel konnten wir so biallelisch (auf beiden elterlichen Genkopien) Veränderungen des Gens im Sinne eines autosomal-rezessiven Erbgangs nachweisen. Die zugrundeliegende Genetik erklärt das klinische Bild, stützt die biochemisch-gestellte Diagnose und bestätigt den eingeschlagenen Therapieansatz für die kleine Patientin. 

Dies ist nicht nur für die klinische Betreuung, sondern auch für verschiedene andere Aspekte essenziell, etwa für die Kostenerstattung der Therapie durch die Krankenkasse. Eltern betroffener Kinder können bei einem weiteren Kinderwunsch beraten und unterstützt werden: Über eine Anlageträgerschaftstestung kann im Rahmen der Familienplanung das Wiederholungsrisiko abgeschätzt werden und während einer weiteren Schwangerschaft besteht die Möglichkeit einer gezielten Pränataldiagnostik.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Gemeinsam lassen sich auch hochkomplexe Fälle lösen.

Zusammenschau essenziell


Wichtig für präzise Diagnose: Überblick über alle verfügbaren Informationen und klinischen, labor-chemischen und genetischen Parameter.

RNA-Sequenzierung als wichtiges Werkzeug

RNA-Sequenzierung liefert als weiterführende Diagnostik in komplexen Fällen wertvolle Hinweise.

Wir sind bei Fragen gerne für Sie da!

Dr. rer. nat. Tobias Eisenberger

Leitung Technologie und Entwicklung, Medizinische Genetik Mainz
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